2.2.Qualitätskriterien
Die Qualitätskriterien beziehen sich sowohl auf inhaltliche Anforderungen, als auch auf angemessene Darstellungsweisen. Sie umfassen allgemeine und ethische Ansprüchen, die von der Leitlinien Entwicklungsgruppe (LEG) als Voraussetzung für die Erstellung von evidenzbasierten Gesundheitsinformationen (EBGI) konsentiert wurden (vgl. 2.2.1 Zielgruppenorientierung und 2.2.2 Inhaltliche Anforderungen) und Empfehlungen (2.2.3 – 2.2.9). Die Empfehlungen wurden von der LEG auf Grundlage der aktuellen Evidenz ausgesprochen (vgl. 1.4 Methodisches Vorgehen).
2.2.1 Zielgruppenorientierung
Es ist ethisch geboten, respektvoll und sensibel auf die Wertvorstellungen und Sorgen der Nutzerinnen und Nutzer von Gesundheitsinformationen einzugehen, ihre Autonomie, kulturellen Unterschiede, subjektive Gesundheitsvorstellungen und Theorien, geschlechts- und altersspezifischen Belange sowie die Belange von Menschen mit Behinderungen zu achten (1).
Bei der Erstellung von EBGI sollten daher für die jeweilige Zielgruppe relevante Aspekte berücksichtigt werden. Zu den Aspekten Sprache und Barrierefreiheit wird im folgenden Abschnitt ein Einblick gegeben. Weitere Aspekte, insbesondere kulturelle Besonderheiten, können durch die Einbeziehung der Zielgruppe in den Erstellungsprozess berücksichtigt werden (vgl. 2.1 Der Erstellungsprozess: Entwicklung und Evaluation von Gesundheitsinformationen und 2.2.9 Einbeziehung der Zielgruppe in den Erstellungsprozess). Im gegenseitigen Austausch können die Belange ermittelt und angemessen umgesetzt werden.
Sprache
Für die Kommunikation von Inhalten spielt das Kriterium Sprache eine bedeutsame Rolle. Bei der Erstellung von Gesundheitsinformationen gilt es, verschiedene Ebenen und Aspekte der Sprachverwendung zu beachten. Zu diesen Aspekten gehören u.a. die Verwendung einfacher Sprache, die Verwendung der Muttersprache oder auch der Umgang mit fachsprachlichen (medizinischen) Begriffen. Anzustreben ist eine zielgruppenorientierte sprachliche Vermittlung, die für möglichst viele Leserinnen und Leser verständlich ist (2). Dies kann als Zielgruppe auch deutschsprechende Erwachsenen einschließen, die nicht in der Lage sind mit gewöhnlicher Schriftsprache umzugehen (laut Grotlüschen et al. etwa 14,5% der erwerbsfähigen deutschen Bevölkerung (3)). Die Frage, wie diese Zielgruppe im Kontext von Gesundheitsinformation adressiert werden sollte, kann hier noch nicht beantwortet werden. Weitere Forschung sollte sich diesen offenen Fragen widmen.
Je nach Level der Schriftsprachkompetenz sind Leserinnen und Leser auf Informationen entweder in Leichter Sprache oder in der komplexeren Einfachen Sprache angewiesen. Leichte Sprache wird jedoch nur für sehr wenige Bereiche gefordert. Ansonsten gilt, dass für die Inhalte die klarste und einfachste Sprache zu verwenden ist, die angemessen ist (4).
Einfache Sprache ist klar, prägnant und gewährleistet, dass die Leserin oder der Leser so schnell und so vollständig wie möglich die Inhalte versteht. Einfache Sprache soll leicht zu lesen, zu verstehen und zu verwenden sein (5). Sachverhalte sollen sehr konkret dargestellt werden. Dagegen sollen verschachtelte Sätze vermieden und Fachbegriffe, die der Zielgruppe nicht bekannt sind, vermieden oder gesondert erklärt werden (6-9).
Insgesamt wird eine patientenorientierte Sprache angestrebt, die durch die vier Merkmale Einfachheit, Gliederung und Ordnung, Kürze und Prägnanz sowie Anregendes Beiwerk gekennzeichnet ist (10).
- Einfachheit: Geläufige, anschauliche, konkrete Wörter werden zu einfachen, kurzen Sätzen zusammengefügt. Wenn Fach- oder Fremdwörter auftauchen, werden sie erklärt.
- Gliederung und Ordnung: Die einzelnen Informationen sind sinnvoll aufeinander bezogen, bauen folgerichtig aufeinander auf. Ein roter Faden ist erkennbar. Diese innere Ordnung wird durch die äußere Gliederung sichtbar gemacht, zum Beispiel durch einleitende Informationen über das Kommende, durch Zwischenüberschriften, Hervorhebungen, Zusammenfassungen usw.
- Kürze und Prägnanz: Die Länge des Textes ist dem Kommunikationsziel angemessen. Zu vermeiden ist Weitschweifigkeit ebenso wie eine extreme Kürze, günstig ist eine ganz leichte Redundanz.
- Anregendes Beiwerk: Gemeint sind einige (wenige) Zutaten, die das Lesen anregend, interessant und abwechslungsreich machen (praktische Beispiele, rhetorische Fragen, Reizwörter usw.).
Diese vier Merkmale können nach einem gewissen Training reliabel eingeschätzt werden. Einen eingeschränkten Nutzen haben Lesbarkeitsindizes. In ihre Berechnung gehen vor allem die durchschnittliche Wort- und Satzlänge eines Textes ein. Für andere wichtige Aspekte wie zum Beispiel die Sinnhaftigkeit der Gliederung eines Textes sind sie blind. Ein Text mit gutem Lesbarkeitsindex kann daher trotzdem schwer verständlich sein. Lesbarkeitsindizes lassen sich jedoch als leicht anwendbares Screeninginstrument nutzen: Ist der Lesbarkeitsindex schwach, so ist das immer ein deutlicher Hinweis auf Schwerverständlichkeit. Der Lesbarkeitsindex wird als Bildungsniveau (5. Klasse, 6.-8. Klasse, Berufsschule usw.) oder mit Textniveaus (Werte von -20 bis 100, je höher der Wert desto leichter der Text, z.B. 50-60 für eine Boulevardzeitung) angegeben. Für deutsche Texte sind Online-Programme zur Bestimmung der Indizes frei zugänglich (11).
Die Lesbarkeit eines Textes kann auch durch die Gestaltung (Layout und Typographie) beeinflusst werden (6, 7).
Ein geringes Verständnis der Sprache des Landes, in dem gegenwärtig gelebt wird, kann Einschränkungen des Zugangs zum Gesundheitssystem zur Folge haben. Das Verstehen von gesundheitsrelevanten Informationen ist eine Grundvoraussetzung für informierte Entscheidungen. Die höchste Sprachkompetenz ist in der Regel in der Muttersprache oder der zuerst erlernten Sprache gegeben. Dabei lässt eine hohe Sprachkompetenz allerdings nicht regelhaft auf eine hohe Lesekompetenz schließen.
In internationalen Untersuchungen zeigte sich, dass mehrsprachige Informationsangebote bei Menschen mit fremdsprachlichem Hintergrund zu größerem Wissenszuwachs führen, wenn die Informationen zusätzlich zur Landessprache in ihrer eigenen Muttersprache dargestellt werden (12, 13). Zweisprachige Informationen werden dabei gegenüber einsprachigen Informationen als leichter verständlich bewertet und bevorzugt (13). Aufgrund fehlender Studien lässt sich aktuell nicht sagen, ob diese Erkenntnisse auch für den deutschen Sprachraum gelten und beispielsweise bilinguale Angebote einer muttersprachlichen Version vorgezogen werden.
Diese Aspekte lassen sich jedoch nicht immer umsetzen, wenn gleichzeitig auch die Anforderungen an evidenzbasierte Gesundheitsinformationen erfüllt werden sollen. So werden z.B. in Beratungsgesprächen Fachbegriffe durch Ärztinnen und Ärzte verwendet und da ist es vermutlich hilfreich, wenn diese Begriffe auch in Gesundheitsinformationen (mit deutscher Umschreibung/Übersetzung) berücksichtigt werden.
Der LEG ist auch wichtig, dass auf eine Sprache verzichtet wird, die alarmierend, bevormundend oder befehlend ist, um eine objektive und ausgewogene Information zu gewährleisten.
Barrierefreiheit
Das Behindertengleichstellungsgesetz definiert barrierefrei als: „Barrierefrei sind […] akustische und visuelle Informationsquellen und Kommunikationseinrichtungen […] wenn sie für behinderte Menschen in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe zugänglich und nutzbar sind.“ (14)
Behinderungen (aber auch andere Aspekte) können den Zugang zu und die Nutzung von Informationsquellen begrenzen (u.a. Seh- und Hörstörungen, Leseschwäche,
unzureichende Fertigkeiten im Umgang mit Computern). Der Begriff Barrierefreiheit bezieht sich in erster Linie auf die Präsentation von Inhalten im Netz. Die Hinweise in der Verordnung zur Schaffung barrierefreier Informationstechnik nach dem Behindertengleichstellungsgesetz können möglicherweise auch auf Printmaterialien übertragen werden (4). Für das Verfassen und Gestalten von Texten gibt es Vorgaben für einfache Sprache (4).
Texte:
- Verwendung von kurzen Sätzen mit klarer Satzgliederung.
- Logische Strukturierung der Inhalte durch Absätze und Überschriften.
- Benutzung von kurzen, einfachen Wörtern. Wenn das nicht möglich ist, werden Erklärungen oder Beispiele angeführt.
Layout:
- Die Zeilenbreite beträgt nicht mehr als 80 Zeichen.
- Der Zeilenabstand beträgt mindestens 1,5 Zeilen innerhalb der Absätze.
- Der Abstand zwischen den Absätzen ist größer als der Zeilenabstand.
- Es werden geeignete Schriftarten verwendet, die eine gute Erkennbarkeit, Leserlichkeit und Lesbarkeit bieten. Über die Leserlichkeit von Schriften gibt DIN 1450:2013-04 Auskunft.
- Es werden maximal zwei verschiedene Schriftarten verwendet.
Farben und Kontraste:
Bei der Präsentation von Texten, ist auf ausreichende Helligkeitskontraste zu achten. Somit wird sichergestellt, dass die Texte auch für farbfehlsichtige Nutzerinnen und Nutzer wahrnehmbar sind. Die Kontrastverhältnisse können von 1 bis 21 reichen (1:1 bis 21:1) Der Kontrast zwischen Vordergrund- und Hintergrundfarbe sollte mindestens 4,5:1 betragen (4).
Fotos, Muster oder Schattierungen sollten nicht als Hintergrund eingesetzt werden, da die Texte dann schlecht lesbar sind.
Auch bei der farbigen Gestaltung von Grafiken sollten die Belange farbfehlsichtiger Nutzerinnen und Nutzer berücksichtigt werden. Eine systematische Erhebung zu verschiedenen Farbkombinationen liegt nicht vor, so dass zu dem Einsatz von Farben in Grafiken keine Empfehlung getroffen werden konnte.
In zwei Studie wurde untersucht, welchen Effekt blau-gelb und schwarz-schweiß gestalteten Piktogramme auf die Verständlichkeit der Information haben, ohne dass relevante Unterschiede gefunden wurden (15, 16).